Zu den Steinobjekten

 

Das Individuum "Stein"

 

Die Sinnlichkeit des Steines, eines Materials, das Erdgeschichte atmet, ins Bewußtsein zu rücken, ist Motivation für Wilhelm Bährs "Steinkunst", die sich in vielgestaltigen Objekten offenbart. Nicht der kostbare, edle Stein reizt den Künstler zur Auseinandersetzung, der gewöhnliche und meist unbeachtete, von der Natur durch Jahrtausende bearbeitete Findling, der mit dem Wasser wanderte, bis er einmal, geschliffen und geformt, ans Ufer gespült wurde, ist es. Diese "Ästhetik des Unscheinbaren" versteht Wilhelm Bähr durch seine Arbeit künstlerisch für sich zu nutzen, da er das natürliche Material in seiner ursprünglichen Gestalt beläßt. Ohne seine Form zu verändern oder zu zerstören stellt er es behutsam in einen neuen

Kontext.

Durch seinen Hang zum Spielerischen, zum Umgestalten gelingt es Bähr, auch in den Betrachtern und Betastern seiner Objekte den Homo ludens zu wecken. Durch die Art, wie er mit den Steinen umgeht, wird Schweres anscheinend leicht, die Schwerkraft scheint aufgehoben, die Logik auf den Kopf gestellt.

Wilhelm Bähr kann mit dem "Individuum Stein" wie mit einem Wesen umgehen. Sein Vergnügen an der Arbeit wie auch seine geistige Auseinandersetzung mit dem Material werden bei Ansicht der Objekte sicht- und spürbar.

Die oft zyklisch entstandenen -und entstehenden -Gruppen machen satirische Verfremdung von Gewächsen, Tieren, Gegenständen des Alltags und mobile Kombinationen deutlich .

Die "Verbindungen" sind teils gefügte "Reparaturen", teils ästhetische Spielereien; ein Fugato aus Steinen, Stahlfedern, Nägeln und anderen Metallteilen.

Den "Gewächsen" liegt die Idee des Recyclings gebrauchten Zivilisationsmaterials zugrunde, das mit der Naturkraft des Steins eine sinnvolle Symbiose eingeht.

Aus Kombinationen mit Alltagsgut wie Gabeln, Löffeln, Schöpfern entsteht allerlei seltsames "Stein-Getier", polymorph wie die Natur selbst.

Nicht zu vergessen die großartigen "Türme", die, wissend zusammengefügt, kompakte Naturobjekte ergeben.

Nie jedoch zwingt Wilhelm Bähr sein Material in die Knie, vielmehr verleiht er ihm durch subtile künstlerische Überarbeitung eine neue, originelle Sinngestalt, die getragen ist von Ironie und Skurrilität, aber auch von Doppelbödigkeit und philosophischer Durchdringung. Hier agiert der Mensch nicht als Zerstörer der Natur, sondern als Sammler, Sinngeber, Bewunderer der Materie, welche er aus ihrer scheinbaren Nebensächlichkeit hebt.

Also ist nichts zufällig, nichts von Ungefähr an dieser Objektkunst. Neue Facetten, das Moment der steten Veränderung, das Finden und Erfinden, die Ambivalenz der Dinge und Werte sind Impulse für Bährs Denken und künstlerisches Handeln.

 

 

IIse Gerhardt

1989

 

Zur Malerei

Raumbegriff als Bildinhalt                                                                                                                Dr.lnge Morze´  

 

 

Unter den Kärntner Künstlern ist  Wilhelm Bähr ein Außenseiter. Nicht von Herkommen und Ausbildung her: 1944 in St. Veit geboren, hat er 1970 die Akademie der bildenden Künste in Wien mit dem Diplom für Malerei abgeschlossen. Seitdem lebt er in Klagenfurt.

Die Kunst in Kärnten ist stark bestimmt durch die Auseinandersetzung mit der Landschaft, dem Gepräge einer individuellen Landschaft, und dem Menschen, dem Menschlichen in oft verschlüsselten Erscheinungsformen. Dabei haben je nach Neigung oder Temperament des Künstlers Mensch oder Landschaft Vorrang, oder sind gleich bedeutend. Impulse aus der Realität machen die Kärntner Kunst konkret, vital, diesseitsbezogen. Diesem Erdhaft-Sinnlichen setzt Bähr mit kühler Besessenheit und Konsequenz sinnbezogene, elegante Lösungen entgegen, wobei menschliche Form wie Landschaft zu Symbolen vereinfacht sind.

Trotzdem ist die Natur an sich auch für Bähr ein Schlüsselerlebnis. Die Ausstellung "Künstlerische Nebenprodukte" im Klagenfurter Künstlerhaus vom Winter 1983 war für das Verständnis von Bährs Kunst aufschlußreich. Er zeigte kleine Objekte aus flachen, im Wasser abgeschliffenen Kieselsteinen. Diese Steine, eingeflochten in ein Drahtgebilde oder mit Metall kombiniert, sind zu abstrakten oder vegetabilen Formen verarbeitet. Ein Stein, auch Blatt, Moos, Borke, stehen bei Bähr für die Natur. In Collagen, Photos kombiniert mit Graphik in bunterTusche, und in Zeichnungen spürt Bähr diesen natürlichen Formen und Strukturen nach. Wie unter dem Mikroskop werden Verästelungen sichtbar, aufgezeichnet. Die lebendige Vielfalt fasziniert und drängt zu immer neuer Gestaltung. Es gibt kein gefälliges Verwischen der Form, Gelände erscheint als meßbare Größe wie in einer Computeraufnahme. Manche Details sind umrahmt und werden dadurch ins Blickfeld gerückt. Die Graphiken sind technisch perfekt, von fast wissenschaftlicher Genauigkeit. Linien und Strukturen sind nicht Ornamente, wenn sie auch durchaus eine ästhetische Wirkung erzielen, sie sind wesentlich, ergeben sich aus dem Aufbau der Materie. Bährs Zeichen und Strukturen, eine Art von Schrift, enthalten und vermitteln Informationen. Bähr will jedoch jedes Stück Natur im großen Zusammenhang sehen, in den Raum hineingestellt. Nicht in individuelle Umgebung, sondern ins allgemein Räumliche. Großbogig wölbt sich der Horizont, Raum wird von Strömungen und Wirbeln bewegt, ist von Wolken durchzogen, von Wolkenbändern umsäumt. Am Rand der Blätter wird intellektuelle Kühle gelegentlich romantisch-verspielt aufgelockert.

Die Auseinandersetzung mit dem Raum ist ein anderes Anliegen Bährs. Er will Räumlichkeit anschaulich machen und versucht, dem Unbekannten schrittweise beizukommen, sich mit einfachen Mitteln, mit stufenartigen Vorsprüngen, plastischen Strukturen, mit Perspektive und Illusion heranzutasten. Schon an der Akademie baute Bähr sein erstes Objekt, dem weitere folgten. In Objekten und in der Malerei mit Eitempera wird Hineingehen in den Raum wahrnehmbar gemacht. Einen Raum, den wissenschaftliche Erkenntnisse ins menschlich Unvorstellbare ausgedehnt haben, sucht Bähr zu fassen, indem er Grenzen setzt, von einer Grenze zur anderen weiterschreitet, den Raum als ins Unendliche weitergehende Folge von begrenzten Einheiten auffaßt. Wie auf einer Bühne Iäßt  Bähr Welten entstehen. Flankiert von Wächtersteinen führt das Tor in eine Welt, die keine reale ist. Sie ist nicht begrünt, belebt, sondern im Urzustand. Berge, steil wie Türme, Schlünde eng wie Schlote, weit, weit im Hintergrund rote Vulkane.

Ausgehend von der Erforschung der Materie, ihren Formen und Strukturen, dringt Bähr in die Tiefe des Raumes vor. Die Arbeiten sind eine zeitgemäße, aufrichtige Auseinandersetzung mit dem heutigen Weltbild, ein Versuch, nur gedanklich Faßbares darzustellen. Denkanstöße aus der Wissenschaft und Mechanismen der Technik sind künstlerisch verarbeitet und in eigenständigen Formulierungen ins Bildhafte übertragen

 

 

 

 

Zur Ausstellung in der

Großen Galerie,

Künstlerhaus Klagenfurt, 1983

Zu den Linolschnitten

SCHNITTE

Nachdem mein Vater in den letzten Jahren vorwiegend mit seinen

Steinobjekten an die Öffentlichkeit getreten ist, kehrt er nun gewissermaßen

wieder zu seinen Wurzeln zurück. Dennoch, nicht die zentrale Aussage ist es,

die sich geändert hat, sondern lediglich die Ausdrucksform, das Medium. Die

Botschaft bleibt die gleiche.

In seinen Objekten ändert Willi Bähr die Form des Steines als solche nicht, er

ergänzt sie vielmehr mit anderen Elementen, um dadurch neue Kompositionen

und Interpretationen zu schaffen. Er respektiert den vorgegebenen Rohstoff

und die von der Natur geschaffene Gestalt.

Diese Ausstellung repräsentiert eine andere Facette seines Schaffens. Dem

Titel "Schnitte "gerechtwerdend, hält sich Willi Bähr nicht an bereits

Vorhandenes, Vorgegebenes, sondern ist selbst derjenige, der gezielt

Schnitte (sei es mit dem Linolmesser, sei es mit dem Pinsel bei der Wahl des

Bildausschnittes) setzt und somit den Entstehungsprozeß selbst bestimmt.

Trotzdem sind diese Schnitte nicht im Sinn von chirurgischen Eingriffen zu

verstehen. Sie sind eher mit archäologischen Freilegungen zu vergleichen, die

dem Betrachter Einblick in bis dato Verborgenes ermöglichen. Verborgenes,

das sich bei den monochromen Drucken meist aus der Überlagerung mehrerer

Bildebenen ergibt, bei den Gouachen durch den gezielten Einsatz von Farben.

So präzise diese Schnitte auch sind, die Farbauswahl verhindert bei den

Gouachen dennoch eine strenge Segmentierung der einzelnen Bildelemente.

Es sind kräftige und eindeutige, aber auch kommunikative und

harmonisierende Farben, die einerseits die Komposition zusammenhalten,

andererseits die verschiedenen Bildebenen akzentuieren.

Es bleibt fraglich, ob man bei den Bildern dieser Ausstellung ebenso leicht

Bekanntes zu identifizieren glaubt wie bei Bährs Steinobjekten. Was sich als

roter Faden durch diese Bilder zu ziehen scheint, ist ein Wechselspiel von

Spannung und Entspannung. Was auf den ersten Blick wie eine kompakte und

in sich geschlossene Form wirkt, erweist sich bei näherer Betrachtung als

Überlagerung, als Interferenz mehrerer organischer und geometrischer

Formen, die sich nicht immer nur innerhalb der klar formulierten Begrenzungen

des Bildausschnittes bewegen, sondern mitunter in konzentrischen Be-

wegungen nach allen Seiten zu verlaufen scheinen.

Marianne Bähr jun.

 

 

Zur Ausstellung "Schnitte", Kleine Galerie, Künstlerhaus Klagenfurt,

16.Oktober - 11.November 1998